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Nachruf auf Dick Vink

Am 5. Oktober verstarb Dick Vink, der "Vater der Werkakademie" nach kurzer Krankheit. Seine Idee von gruppenbasierten, intensiven Coachings durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jobcentern oder Trägern, bei denen die Selbsttätigkeit der Menschen im Mittelpunkt steht, wird in Deutschland in mehr als 100 Jobcentern umgesetzt. Sein Credo: "Es ist Ihr Job, Ihren Job zu finden" ist zugleich Slogan, Motto und arbeitsmarkttheoretische Vision.

Dick Vink nutzte zur Erläuterung seiner Philosophie bei Veranstaltungen gerne das Geschäftsmodell der Möbelkette IKEA. „Was kaufen Sie bei IKEA?“ fragte er dann. Meistens kam aus dem Publikum die Antwort: „Teelichter“. Schon waren ihm  die ersten Lacher sicher. „Ja, aber vor allem kaufen Sie Pakete. Und zu Hause bauen Sie daraus Möbel auf. Was für ein tolles Geschäftsmodell von diesem schlauen Schweden“, dann führte er aus: „Wir arbeiten für IKEA!“. Dick Vink erläuterte, dass die Selbsttätigkeit und die Anforderungen an das Individuum in komplexen Gesellschaften zunimmt. Wir sind zunehmend „Dienstleister für unsere eigenen Aufgaben“. Weil wir selbst am besten wissen, was wir brauchen und wollen. Es sei anachronistisch, zu  meinen, im Jobcenter würden Jobs vermittelt. Und dass die Jobcenter wüssten, was der Arbeitssuchende braucht und will. Das Gegenteil sei der Fall: „Es ist Ihr Job, Ihren Job zu finden“ ist dementsprechend oft das Erste, was viele Arbeitssuchende in der Werkakademie hören.

Die Räumlichkeiten der Werkakademien sind modern gestaltet, haben meist eine Kaffee-Ecke, Ruhezonen und modernes Equipment. Arbeitssuche im Internet, das Üben von Bewerbungsgesprächen, das Erstellen von Bewerbungsschreiben, intensive Berufsorientierung und -beratung sind wesentliche Elemente der Werkakademien. Der Austausch der Arbeitssuchenden untereinander, das voneinander Lernen und das klare Ziel, in spätestens sechs bis acht Wochen einen neuen Job gefunden zu haben, prägen die Atmosphäre. 50 Prozent der Teilnehmenden erreichen dieses Ziel, auch nach 6 Monaten sind noch bis zu 75 Prozent weiterhin in Beschäftigung.

Dick Vink wusste, dass dies vor allem ein Ergebnis des Zusammenspiels von stringenter Organisation, dem Entwickeln von klaren Zielen und der engagierten Haltung der Mitarbeitenden, der sogenannten Jobcoaches, ist. Pragmatisch alles möglich machen, was dem Bewerber hilft – das hatte Dick Vink in den neunziger Jahren von einem Besuch in den USA als Erfahrung nach Holland mitgebracht und setzte dies seit 2008 in Jobcentern in Hessen, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und weiteren Bundesländern um. Beim Umgang mit den deutschen Verwaltungsbehörden, deren Verlässlichkeit er tatsächlich sehr schätzte, kamen ihm seine Erfahrungen als ehemaliger Sozialamtsleiter zu Gute.

Der arbeitsmarktpolitischen Debatte über „Aktivieren oder Befähigen“ konnte der pragmatische Niederländer wenig abgewinnen. Seine Frage - im schönsten niederländischen Dialekt - war immer die, wie „unsere liebe Kunde in Arbeit geht.“ Möglichst die Arbeit, die ihm gefällt, aber nach einiger Zeit müsse der Jobcoach mit dem Kunden darüber sprechen, ob es auch Jobs der Kategorie B oder C sein können. Mir schien es manchmal so, als ob auch ein wenig Paternalismus und ein wenig Marktliberalismus in seinen Vorstellungen mitschwang und im Zweifel hätte er die Idee der individuellen Selbsttätigkeit der Idee einer behütenden Sozialverwaltungen wahrscheinlich vorgezogen.

Ich lernte Dick Vink 2011 kennen, als ich gerade von der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur G.I.B. gewechselt war. Zunächst konnte ich mit seinen Vorstellungen eines Coachings in Gruppen durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jobcenter wenig anfangen. Kaffee-Ecken? Lounge-Bereich? Kinderbetreuung? Der Kunde soll sich wohlfühlen? Coaching? Freiwillige Teilnahme? Zunächst einmal erschienen mir dies abwegige Ideen zu sein, der Erfolg hinsichtlich Orientierung und Integrationsquoten gaben ihm aber anscheinend Recht. Erst nach meinem Besuch des Jobcenters Herne, das mit dem „Herner Modell“ Vorbild für die Umsetzung des „Aktivierungsansatzes – Work-First“ in NRW werden sollte, verstand ich den Paradigmenwechsel in der Betrachtung des Verhältnisses zwischen Kunden und Vermittlungsfachkraft, zwischen Individuum und Verwaltungsbehörde: „Es ist Ihr Job, Ihren Job zu finden“ - und es ist unser Job, Sie dabei zu unterstützen, bliebe hinzuzufügen. Als Jobcenter sei man an die Grenzen der Vermittlungsmöglichkeiten mit der klassischen Eins zu Eins-Beratung gestoßen, so der damalige Leiter des Jobcenters, Peter Heckmann. Der Beratungsprozess mit 16 Teilnehmenden pro Gruppe in 8 Wochen sei deutlich effektiver und für beide Seiten befriedigender als die Beratung von über 250 Kunden durch eine Integrationsfachkraft.

Dick Vink konnte sich sicher sein, dass sich seine Vision der Hilfe zur Selbsthilfe nach uns nach durchsetzen wird. Er entwickelte kein elaboriertes Modell der Werkakademie, sondern verstand sich als Ideenlieferant und spielte die Rolle eines naiv-erscheinenden Ausländers „Ich habe keine Ahnung, ob das hier auch funktioniert. Mal sehen“. Manchmal provozierte er ganz bewusst, man kann dies gerne als paradoxe Intervention bezeichnen. Am Ende eines 45-minütigen Vortrags vor hessischen Jobcentern, der die Teilnahmechancen für Migranten am Werkakademieansatz aufzeigen sollte, hatte er noch kein Wort über Migranten verloren. Die ersten Zuhörerinnen und Zuhörer wurden unruhig. Er kam zum letzten Sheet und siehe da, es zeigte einen lachenden Afrikaner in holländischen Holzschuhen.

"Ausprobieren, einfach machen, Fehler sind erlaubt und gewünscht, wir lernen daraus" ist die Botschaft, für die er stand.

Man begegnet im Laufe seines Berufes möglicherweise nur ein oder zwei Visionären. Dick Vink hat einigen Kolleginnen und Kollegen der G.I.B.  eine Vision für eine Arbeitsmarktpolitik der Zukunft vermittelt, die wir in den nächsten Jahren weiter verfolgen möchten. Er hatte mit 64 Jahren noch viel vor. Seine beruflichen Weggefährten werden seine Ideen nun weiter tragen.

Bottrop, 12. Oktober, Dr. Frank Nitzsche